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Kleine Wehr – was nun?

Wer löscht künftig, wenn es auf dem Land brennt? Den Freiwilligen Feuerwehren gehen die Helfer aus. Ein Notruf!

Immer mehr Schränke bleiben leer: Die Freiwillige Feuerwehr in Rennau im Landkreis Helmstedt hat gerade mal noch zehn Aktive.

Von Thorsten Fuchs

Rennau.

Der ganze Stolz der Ortsfeuerwehr Rennau ist ein kleines Gerät, das, wenn es zu Ende geht, laut wird, sehr, sehr laut.

Mit einem Ruck zieht Ortsbrandmeister Brißke die Tür des alten Feuerwehrautos auf, beugt sich über die Sitzbank und zieht einen Kasten hervor, kaum größer als eine Zigarettenschachtel. Brißke schaltet das Gerät ein. Eine blaue Lampe blinkt. Dann geschieht erst mal nichts, aber Brißke sieht auf, und sein Blick sagt: Wartet mal ab, gleich kommt’s.

Nach zehn Sekunden beginnt der Kasten zu piepen. Er beginnt schon laut und steigert sich noch, bis der Ton das ganze Feuerwehrhaus ausfüllt. Brißke schaltet das Gerät ab. „Bevor einer stirbt“, erklärt er dann, „macht der hier richtig Alarm.“

Die kleinen Geräte sind wichtig. Totmannmelder, so nennen die Feuerwehrmänner sie. Wenn die Feuerwehrmänner eine brennende Wohnung betreten, klemmen sie sich den Melder an die Uniform. Wird der Träger bewusstlos, alarmieren sie mit ihrem Piepen die Kollegen. Im Ernstfall können die Geräte Leben retten. Was Udo Brißke vorgeführt hat, war nur ein Test. Aber im Grunde ist es schon ganz richtig, dass die Totmannmelder hier ausschlagen, bei der Freiwilligen Feuerwehr in Rennau. Eigentlich müsste ihnen jetzt nämlich auch dringend jemand zu Hilfe eilen. Oder, genauer: Es müssten ihnen eigentlich jetzt sehr viele zur Hilfe eilen.

Zu zehnt sind sie noch bei der Freiwilligen Feuerwehr Rennau im Landkreis Helmstedt – jedenfalls auf dem Papier, theoretisch. Praktisch kann es schon mal so sein, dass bei einem Brand nur ein oder zwei Feuerwehrmänner zum Feuerwehrhaus eilen. Oder dass gar keiner kommt, weil sie alle gerade bei der Arbeit in einer anderen Stadt oder sonst wo sind, und das Feuerwehrauto mit dem Funkrufnamen 16–40–42 einfach in der Garage bleibt. Ortsbrandmeister Brißke schaut jetzt sehr ernst. Es ist kein schönes Thema für ihn. Er ist 45 Jahre alt und seit 20 Jahren bei der Feuerwehr, da gesteht man sich nicht gern ein, dass man vielleicht im Ernstfall nicht helfen kann. Aber so ist es jetzt eben. „Wenn alles zusammenkommt“, sagt er, „können wir nichts machen.“

Die kleinen Feuerwehren, so viel ist sicher, sind selbst in Not. Im Jahr 2011 haben bundesweit 13?000 Freiwillige ihren Dienst aufgegeben, so viele wie noch nie. In Niedersachsen war der Rückgang besonders stark, hier haben mehr als 2000 Männer und Frauen ihren Dienst quittiert. Und so stellen sich nun Fragen: Wer löscht eigentlich künftig auf dem Land? Wer holt die Verletzten aus den Unfallwracks? Und woran liegt es eigentlich, dass eine solche Institution nun selbst in solche Schwierigkeiten gerät?

Rennau ist ein gutes Beispiel, ein Dorf mit 253 Einwohnern, das dort liegt, wo früher die Bundesrepublik endete und die DDR begann. In der Mitte gibt es einige Fachwerkhäuser. Eines von ihnen war ¬ursprünglich die Schule. Aber dann gab es in Rennau immer weniger Kinder, die Schule wurde geschlossen, die Feuerwehr übernahm. Die Feuerwehrmänner bauten das ganze Gebäude für ihre Zwecke um. „Eigenleistung“, wie Brißke sagt. Damals, in den neunziger Jahren, waren sie ja auch noch genug.

Der Raum im ersten Stock war früher ein Klassenzimmer. Jetzt gibt es hier eine Theke für Partys, Tische für die Schulungen und an der Wand eine Erinnerung an frühere Erfolge: Eine Urkunde bescheinigt den vierten Platz bei der Funkübung 2007.

Brandmeister Brißke sitzt im kalten Licht der Neonröhren und weiß, dass er selbst sowohl Teil der Lösung ist als auch Teil des Problems. Brißke ist vor 13 Jahren nach Rennau gezogen, in das Neubaugebiet am Rand des Ortes. Viele seiner Nachbarn sind eigentlich Städter. Die finden es komisch, in die Freiwillige Feuerwehr zu gehen. Brißke kommt vom Land. „Für mich war es immer normal, bei der Feuerwehr zu sein.“ Brißke war einer der raren Zugänge. Das ist das Gute.

Das Schlechte ist, dass Brißke dort arbeitet, wo die meisten Rennauer arbeiten: bei VW in Wolfsburg. Was ja auch kaum erstaunlich ist, denn wenn der Bürgermeister aufzählt, was es in Rennau heute noch an Betrieben gibt, dann kommt hinter den vier Höfen (von früher 23), dem Busunternehmen (das außerhalb des Dorfes liegt), der Schlachterei und dem kleinen Restaurant schon die Praxis eines Kinderpsychologen.

Eine halbe Stunde braucht Brißke bis zum Werk. Seinen Funkmelder nimmt er gar nicht erst mit. Den hört er dort sowieso nicht. Es gibt Tageszeiten, da könnte sich die Feuerwehr Rennau ¬eigentlich abmelden. „Wenn bei VW Schichtwechsel ist, dann sieht es hier ganz schlecht aus“, sagt Brißke. Wenn man nach den Gründen sucht, die den Feuerwehren das Leben erschweren, dann kann man all die großen Entwicklungen aufzählen. Es wird leerer auf dem Land, vor allem im Süden, aber auch hier, im Osten Niedersachsens. „Luisa“ steht zum Beispiel noch auf einem der Spinde im Rennauer Feuerwehrhaus, aber Luisa ist vergangenes Jahr nach Braunschweig gezogen, zum Studieren. Die Vereine haben es auch nicht leicht. Einen Sportverein gibt es in Rennau gleich gar nicht, und beim Schützenverein wird es mit den Aktiven allmählich so dünn, dass sie sich überlegen wollen, wie sie denn als Verein künftig überhaupt weitermachen.

Demografischer Wandel, Mobilität, Individualisierung, eigentlich führt alles ganz logisch dazu, dass Brandmeister Brißke am Ende nicht weiß, wer den Schlauch halten soll, wenn es in Rennau brennt. Das macht die Arbeit von Hans-Peter Kröger ja so schwierig.

Kröger lebt in Blekendorf, einem Dorf zwischen Kiel und Lübeck, und man kann sagen: An ihm liegt?s nicht. 59 Jahre ist er alt, und weil er in Schleswig-Holstein wohnt, kann er sogar noch acht Jahre weiter löschen. Das Höchstalter hinaufzusetzen, das war eine seiner Ideen. „Die Älteren sind doch heute viel fitter.“ Die Rentnerfeuerwehr: Ist das eine Lösung? Kröger ist seit 2003 Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes und seitdem vor allem damit beschäftigt, Antworten auf diese Frage zu finden: Was kann man tun, damit auch künftig noch genügend Menschen freiwillig ¬löschen? Kröger hatte Vorschläge, und die Länder haben vieles aufgegriffen. Sie haben die Gesetze geändert, sodass nun auch schon Sechsjährige in die Feuerwehr dürfen – eine Art Frühbegeisterungsversuch. Thüringen hat eine Feuerwehrrente eingeführt, für jedes Jahr als Aktiver gibt es einen Zuschlag.

Mehr Migranten und mehr Frauen in die Feuerwehren, das ist auch so ein Ziel von Kröger. Wobei davon nicht jeder begeistert ist. „Wir haben doch gar keinen Platz für Frauenumkleiden“, das hört Kröger manchmal als Gegenargument. Er macht sich keine Illusionen. Manche Feuerwehren haben ein Talent zur Rückständigkeit. Im Grunde aber ist er zuversichtlich. Acht Prozent der Aktiven sind heute Frauen. „Es werden mehr werden“, meint Kröger. Es werden mehr werden müssen. Und seine Bilanz? Gut eine Million aktiver Feuerwehrmänner und -frauen gibt es noch immer in Deutschland. Das ist viel. Das Problem ist nur, dass sie sich ein wenig ungleich verteilen. „In Bayern und Baden-Württemberg haben wir mehr Helfer als nötig“, sagt Kröger. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ist der Mangel dafür umso größer. Früher, erzählt Kröger, waren die Feuerwehren froh, wenn sie einen Brand allein löschen durften. „Da hieß es: Dieser Brand gehört uns.“ Heute werden in vielen ländlichen Gegenden automatisch mehrere Wehren auf einmal alarmiert – in der Hoffnung, dass am Ende genügend Helfer kommen. „Vielleicht“, meint Kröger, „wird man in manchen Gebieten irgendwann über Pflichtfeuerwehren reden müssen.“

In Rennau wirft Brandmeister Brißke noch mal die Pumpe an. Sie liegt hinten in einem alten VW-LT-Feuerwehrauto, Baujahr 1988. Ein robustes Brummen, dann weiß er Bescheid. Er prüft die Pumpe regelmäßig. Nur nichts dem Verfall preisgeben. Wie es in Rennau weitergeht? Brißke strahlt keinen Optimismus aus. Eigentlich dürfte es ihre kleine Wehr ja schon gar nicht mehr geben. 18 Feuerwehrleute, so groß muss eine Wehr laut Verordnung sein. Es ist jetzt schon eine Ausnahme, dass sie weitermachen dürfen.

Aufgeben will Brandmeister Brißke nicht. Natürlich, die Feuerwehren aus den Nachbardörfern, aus Rottorf und Ahmstorf, sind in zwei Minuten da. Aber das genügt Brißke nicht. „Zwei Minuten können sehr lang sein, wenn man auf Hilfe wartet.“ Es ist eine Frage der Notwendigkeit – und der Ehre. Seit mehr als 100 Jahren gibt es in Rennau eine Feuerwehr. Da will Brißke nicht der letzte Brandmeister sein.

Nur wo die neuen Feuerwehrleute herkommen sollen, das weiß er auch nicht. Seine 15-jährige Tochter ist bei der Jugendfeuerwehr. Ob sie dabeibleibt? „Eher nicht“, vermutet Brißke. Sie sehe noch nicht so richtig ein, dass die Wehr nötig ist. Es klingt, als läge noch eine Menge Arbeit vor Brandmeister Brißke.

Theoretisch einsatzbereit: Udo Brißke (rechts) und Kevin Kühn sorgen für intaktes Material.

Nachgefragt

„Wir müssen für dieses System kämpfen“

Landesbranddirektor Jörg Schallhorn

Herr Schallhorn, können es sich die Bürger zum Beispiel in Volkerode oder Stemmen jetzt sparen, 112 zu wählen?

Nein, auf keinen Fall. 112 ist immer die richtige Nummer.

Aber die Freiwilligen Feuerwehren dort wurden aufgelöst – mangels Freiwilliger.

Die Feuerwehren dort haben sich mit Nachbarwehren zusammengeschlossen, weil sie aufgrund der zu geringen Einwohnerzahl nicht mehr genügend Freiwillige finden konnten, das stimmt. Wir haben durch die Auswirkungen des demografischen Wandels 2011 insgesamt 13 Wehren verloren – bei mehr als 3300 Ortsfeuerwehren. Wir haben noch keine Lücken im System.

„Noch“ heißt: Diese Lücken werden kommen?

Wenn die Prognosen zum demografischen Wandel zutreffen und unsere Maßnahmen nicht greifen, dann kriegen wir langfristig ein echtes Problem.

Was tun Sie dagegen?

Wir haben ein Konzept aus 20 Maßnahmen aufgestellt und in den letzten Jahren mit der Umsetzung begonnen. Hier sind zum Beispiel die Anhebung der Altersgrenze oder die Doppelmitgliedschaft hervorzuheben. Ende letzten Jahres haben wir eine Imagekampagne unter dem Motto „Keine Ausreden! Mitmachen!“ entwickelt und Kinospots drehen lassen. Die Kinderwehren sind ein echtes Erfolgsmodell. Außerdem hat das Land vor einer Woche in Celle das Gelände gekauft, auf dem die neue Landesfeuerwehrschule gebaut wird. Dort werden wir dann über eine hochattraktive Aus- und Fortbildungsstätte verfügen.

Und wenn das alles nicht ausreicht?

Dann müsste man den Brandschutz in allerletzter Konsequenz mit hauptberuflichen Kräften sicherstellen – und das ist leider unbezahlbar und auch nicht gewollt.

Die Kommunen könnten auch Bürger zum Feuerwehrdienst verpflichten.

Das ist der Worst Case. Es gibt zwar die gesetzliche Grundlage dafür, aber bisher keine solchen Pläne.

Die Mitgliederzahlen der Feuerwehren gehen in Niedersachsen stärker zurück als im Bundesdurchschnitt. Woran liegt das?

Als Flächenland ist Niedersachsen vom demografischen Wandel überdurchschnittlich betroffen, der Hauptursache der Schwierigkeiten. Außerdem ist die Situation auch nicht überall gleich. Im Nordwesten haben wir zum Teil sogar steigende Mitgliederzahlen. Dann gibt es eine sehr stabile Mitte. Probleme gibt es vor allem im Südosten Niedersachsens.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Freiwilligen Wehren gerettet werden?

Ich bin sehr zuversichtlich. Aber von allein wird es nicht funktionieren. Wir haben ein klasse System, sind in Niedersachsen sehr gut aufgestellt – und jetzt müssen wir für dieses System kämpfen.

Interview: Thorsten Fuchs

Pflichtwehren

Kommunen haben das Recht, Männer und Frauen zum Dienst in der Feuerwehr zu verpflichten. So ist es in den Landesfeuerwehrgesetzen geregelt. Es kam bislang jedoch nur selten vor, dass sie es auch anwenden mussten. Querelen unter Mitgliedern haben in den vergangenen Jahren lediglich vereinzelt dazu geführt, dass Aktive in größerer Zahl den Dienst quittierten und Pflichtfeuerwehren eingerichtet wurden – zum Beispiel in List auf Sylt. Dort kündigte 2005 als Erstes der stellvertretende Wehrführer, nach einem von ihm verursachten Unfall. Dann verabschiedete sich der Wehrführer, offiziell „aus persönlichen Gründen“. Und schließlich wollten nach heftigem Streit so viele Aktive gehen, dass die Kreisverwaltung Husum die Notbremse zog: Sie zwangsrekrutierte die Verbliebenen und stockte sie auf 50 Mann auf – die erste Pflichtfeuerwehr in Deutschland nach dem Krieg war entstanden. In der Zukunft könnte jedoch auch der Mitgliederschwund dazu führen, dass Gemeinden verstärkt auf dieses Mittel zurückgreifen, prognostiziert der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Hans-Peter Kröger. Zurzeit sind in Deutschland vier Pflichtwehren bekannt: Neben List auf Sylt gibt es noch einen weiteren Fall in Dithmarschen in Schleswig-Holstein und je einen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. tof

Quelle:
Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 26.01.2013

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